Einsatz für eine inklusive Welt
Erasmus+: Obernburger arbeitete in Österreich mit Menschen mit Autismus
Bis dato war ihm dieses Arbeitsgebiet nur rein theoretisch von der Ausbildung her vertraut gewesen: Johannes Marquart aus Obernburg erfuhr im österreichischen Feldkirchen drei Monate lang, wie man schwer von Autismus betroffene Menschen unterstützt. „Viele konnten zum Beispiel nicht sprechen“, berichtet der 23-jährige Heilerziehungspfleger. Bei einem Erasmus+-Auslandspraktikum lernte Marquart bis 3. Juni, mit den Klienten einer diakonischen Tagesstruktur-Einrichtung über Bildkarten zu kommunizieren.
Im Zeitalter der Inklusion sind Fachkräfte wie Johannes Marquart äußerst wichtig. Sie wissen, wie man Menschen mit einer Behinderung in die Gesellschaft einbezieht. Das Berufsbild selbst ist nach wie vor weitgehend unbekannt. „Wenn ich irgendwo neue Leute treffe, muss ich immer erklären, was ich als Heilerziehungspfleger eigentlich mache“, sagt Marquart. Berichtet er davon, dass er mit meist gravierend beeinträchtigten Menschen arbeitet, erntet er oft bewundernde Kommentare: „Also, ich könnte das nie!“ Johannes Marquart jedoch tut dies ausgesprochen gern. Zurück aus Österreich, ist er gerade auf der Suche nach einem Arbeitsplatz, wo er seine Kompetenzen einbringen kann.
Dass er einmal mit Menschen mit Behinderung arbeiten würde, hätte er, als er noch die Schulbank drückte, nicht gedacht. „Direkt nach der Schule begann ich eine Lehre zum Hotelfachmann“, berichtet der Obernburger. Doch das hatte ihm nicht gefallen. Durch Zufall lernte er über den „Cirkus Blamage“ den Leiter eines Wohnheims für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung aus dem Kreis Miltenberg kennen. Marquart stieg als FSJler in die Arbeit ein. Dabei entdeckte er, wie gut er mit behinderten Menschen umgehen kann. Dieses Talent wurde ihm nun in Feldkirchen bestätigt. Hier, sagt er, konnte er dank eines höchst kooperativen Teams seine Kompetenzen auch noch mal deutlich erweitern.
Wollte er wissen, für was dies oder das gut ist, erhielt er prompt Auskunft. Niemand ließ ihn spüren, dass er „nur“ der Praktikant war. Nie gedacht hätte Marquart, dass er sogar an Fortbildungen teilnehmen durfte. „Einmal machte ich ein Anti-Aggressionstraining mit.“ Zu lernen, mit Aggressionen umzugehen, ist gerade in der Arbeit mit schwer von Autismus betroffenen Menschen wichtig. Mehrmals erlebte Marquart in der Feldkirchner Einrichtung autoaggressive Attacken: „Ein Klient zum Beispiel wirft sich öfter mal auf den Boden und versucht dort, mit dem Knie gegen seinen Kopf zu schlagen.“ Durch die Fortbildungen, allerdings nicht nur dadurch, kam er in Österreich auch in Kontakt zu neuen Leuten.
Menschen lernen einander kennen, wenn sie in einem Chor singen. Oder zusammen Sport treiben. Johannes Marquart fand noch eine andere Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen: „Ich engagierte mich in Klagenfurt bei Demos.“ Durch eine erste Demo im Sinne der Fridays for Future-Bewegung traf er junge Leute, die sich in Kärnten stark ökologisch und sozial engagieren. Sie setzen sich nicht nur für Klimaschutz ein, sondern auch für Geflüchtete. Johannes Marquart nahm auf dem Klagenfurter Marktplatz an einem von ihnen organisierten Protestcamp „Wochenende für Moria“ teil.
Der Obernburger widerlegt die vorherrschende Meinung, dass sich junge Männer kaum für Soziales interessieren. Sondern fast nur für Technik. Allmählich wächst das Interesse von Männern an Berufen wie dem des Erziehers oder Heilerziehungspflegers. „In der Würzburger Fachschule waren wir immerhin ein Drittel Männer“, berichtet Johannes Marquart. Negative Reaktionen auf seine Berufswahl, von wegen, dass das, was er tut, doch kein Männerjob sei, hat der 23-Jährige erfreulicherweise nie erlebt: „Vor allem meine Familie stand immer hinter dem, was ich mache.“ Wünschen würde er sich, dass noch mehr Männer bereit wären, sich auf einen sozialen Beruf einzulassen.
Ein dickes Lob hat Marquart für das Team der Würzburger Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilerziehungspflegehilfe. Von der dreijährigen Ausbildung, die er letztes Jahr im Juli abschloss, habe er enorm profitiert. Vor allem die medizinischen Themen interessierten ihn. Sehr gut fand Marquart außerdem, wie eng Theorie und Praxis miteinander verknüpft waren. Den praktischen Teil seiner Ausbildung absolvierte er in einer Einrichtung der Lebenshilfe sowie in der SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth bei Gemünden. Bevor er nach Feldkirchen ging, arbeitete er als Fachkraft in einem Wohnheim in Schmerlenbach.
Die aktuelle Übergangsphase zwischen Auslandspraktikum und Berufseinstieg nutzt der junge Mann, um sich zu orientieren. „Heilerziehungspflege ist ein riesiges Feld“, erklärt er. Nach wie vor interessiert ihn die Arbeit mit Menschen, die von Autismus betroffen sind. Genauso gut könnte sich Marquart vorstellen, mit dementiell veränderten Senioren zu arbeiten. Doch egal, wo er einmal endgültig landen wird: Sein Ziel ist es, zumindest einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass die Welt inklusiver wird. „In Österreich, so mein Eindruck, ist man schon weiter als hier bei uns“, sagt er. Eben um solche Eindrücke zu gewinnen, sind Auslandspraktika so wichtig.
Artikel: Pat Christ